Dr. Thomas Leoni ist seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). In unserem Interview spricht er über psychische Belastungen in der Arbeitswelt.
Wenn wir von psychischen Belastungen in der Arbeitswelt sprechen, was meinen wir damit eigentlich? Bzw. was sind die häufigsten Belastungen und Ursachen dafür?
Es ist treffender, in Abgrenzung zu den körperlichen, biologischen und chemischen Risikofaktoren am Arbeitsplatz von „psychosozialen“ Belastungsfaktoren zu sprechen. Es handelt um sich jene Aspekte der Gestaltung, Organisation und Leitung von Arbeit, die potentiell gesundheitlich schädlich sein können. Wichtig zu betonen ist, dass die gesundheitlichen Folgen von psychosozialen Belastungen sowohl psychisch als auch körperlich sein können.
Beispiele für weitverbreitete psychosoziale Belastungen sind Zeitdruck, ständiger Kunden- oder Patientenkontakt, andauernd hohe Konzentrationsanforderungen, mangelnde Rückzugsmöglichkeiten aber auch Isolation am Arbeitsplatz oder mangelnde Unterstützung und Wertschätzung durch Kolleg/innen und Vorgesetzte.
Die Art und Weise, wie die Arbeitsabläufe organisiert und strukturiert werden und im Allgemeinen die Unternehmenskultur üben einen großen Einfluss auf das Ausmaß psychischer bzw. psychosozialer Belastungen. Gleichzeitig sind auch die Unternehmen und Organisationen mit externen Faktoren konfrontiert, die sie nicht steuern können und die sich erschwerend auf die Arbeitsbedingungen auswirken. Denken wir an den hohen internationalen Wettbewerbsdruck oder an den Kostendruck, der auch im öffentlichen Bereich, wie z.B. im Gesundheits- und Pflegebereich, Ressourcenknappheit nach sich zieht.
Was kann jeder Einzelne gegen eine solche Belastung am Arbeitsplatz tun?
Viele der Rahmenbedingungen, die die Beschäftigten am Arbeitsplatz vorfinden, sind vorgegeben und können vom Einzelnen nur sehr bedingt verändert werden. Bei psychosozialen Belastungen geht es aber auch um das Zusammenspiel zwischen den Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz und den individuellen Ressourcen und Bewältigungskompetenzen. Diese können gezielt ausgebaut bzw. geschult werden, beispielsweise bei personenbezogenen Dienstleistungen, wo es wichtig sein kann, sich in einem bestimmten Ausmaß abzugrenzen oder auf belastende Situationen entsprechend zu reagieren. Oder durch verbesserte Planung, um einer hohen Arbeitsbelastung entgegenzuwirken. Allgemein ist es wichtig, frühzeitig bei den Vorgesetzten und im Arbeitsumfeld auf Probleme hinzuweisen und Unterstützung zu suchen.
Das Ausmaß, in dem das alles gelingen kann, hängt freilich vom Handlungsspielraum der Beschäftigten, von der Art der ausgeübten Tätigkeit und von der vorherrschenden Organisationskultur ab. Die Unternehmenskultur und die Qualität der Führung sind von entscheidender Bedeutung, um positiv auf die Arbeitssituation der Mitarbeiter/innen einzuwirken und auf Probleme zu reagieren, um Belastungen zu reduzieren und Ressourcen zu stärken.
Warum sollten sich Unternehmen verstärkt den psychischen Belastungen ihrer MitarbeiterInnen annehmen?
Angesichts des zentralen Stellenwerts, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerade in unserer Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft für den wirtschaftlichen Erfolg ihres Unternehmens haben, sind die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten wichtige betriebliche Zielgrößen. Psychosoziale Belastungen sind zudem nicht nur Risikofaktoren für die individuelle Gesundheit und das Wohlbefinden, sondern vielfach auch ein Symptom für schlecht funktionierende Arbeits- und Organisationsabläufe oder Fehlentwicklungen in der Unternehmenskultur.
Die Beseitigung von Belastungsfaktoren kann Kosten reduzieren und die Produktivität erhöhen, weil sie sich positiv auf die Fehlzeiten und die Fehlerquoten, aber auch auf die Arbeitsmotivation und die Zusammenarbeit im Unternehmen auswirkt. Die Reduktion bzw. Beseitigung von psychosozialen Belastungen ist damit in mehrfacher Sicht wünschenswert, sowohl was das Wohlbefinden der Beschäftigten betrifft, als auch für die Produktivität im Betrieb.
Gibt es Zahlen, welche Kosten psychische Belastungen in der österreichischen Wirtschaft verursachen?
Monetäre Bewertungen der Folgekosten von psychischen bzw. psychosozialen Belastungen sind aufgrund der komplexen Zusammenhänge und der lückenhaften Datenlage ein schwieriges Unterfangen. Das WIFO hat vor einigen Jahren in einer Studie gemeinsam mit der Donau Universität Krems geschätzt, dass die Krankenstände, die auf psychische Belastungen zurückzuführen sind, gesamtwirtschaftliche Kosten von jährlich 3,3 Mrd. Euro verursachen. Es handelt sich um eine grobe Schätzung, die einen Anhaltspunkt liefert und andere, langfristige Folgekosten, wie z. B. frühzeitigen Erwerbsaustritt, nicht berücksichtigt.
Sie werden bei der GfB-Konferenz am 11. Juni den Vortrag „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt am Beispiel Oberösterreich“ präsentieren. Können Sie einen kurzen Einblick geben was die ZuhörerInnen erwartet?
Ich werde zunächst auf einige allgemeine Zusammenhänge und Forschungserkenntnisse zu den psychischen Erkrankungen der Erwerbstätigen eingehen. Dann die Kernergebnisse aus einer Untersuchung der psychisch bedingten Krankenstände präsentieren, die von der Arbeiterkammer Oberösterreich in Auftrag gegeben wurde.
Dabei geht es um die Verteilung und Entwicklung von Krankenständen, die auf psychische Krankheitsursachen zurückgehen. Diese stellen zwar nur eine Facette der Problematik psychischer Gesundheitsbeeinträchtigungen dar, sind aber ein interessanter gesundheitlicher Indikator, der sowohl für Beschäftigte als auch Arbeitslose vorliegt.
Und inwiefern hat die Region Oberösterreich hier Besonderheiten im Vergleich zu Gesamtösterreich?
Oberösterreich unterscheidet sich vor allem aufgrund seiner starken industriellen Prägung von anderen Bundesländern. Sehen wir von diesem Unterschied der Wirtschaftsstruktur ab, der in den Analysen zumindest teilweise berücksichtigt werden konnte, sind Erkenntnisse zu den psychisch bedingten Krankenständen in Oberösterreich aber auch für Österreich insgesamt von Relevanz.



