Fachkräfte in der Informatik gelten als jung, flexibel und männlich. Was steckt hinter diesen Klischees? Wir durften mit Dr.in Johanna Ullrich, Senior Researcher bei SBA Research und Lektorin, über (Alters)Diversität und lebensphasenorientiertes Arbeiten in der IT sprechen.
Stefanie Hesse ist Demografieberaterin und beriet im Rahmen der Demografieberatung bereits IT-Unternehmen zu Kompetenzen in der IT-Branche. Ihrer Ansicht nach benötigt es zweierlei Kompetenzen: Einerseits ganz spezifische fachliche Kompetenzen und andererseits breite soziale Kompetenzen. Vor allem in der Informatik, wo viel in Teams gearbeitet wird und in Gruppen Dinge weiterentwickelt werden. Gemeinsam mit ihr sprachen wir mit Dr.in Johanna Ullrich über Kompetenzen und die IT-Branche.
Liebe Frau Ullrich, stimmen Sie dem zu?
Es braucht sicher beides, denn man kann weder auf die Fachkompetenzen noch auf Teamfähigkeit verzichten.
Hat die Branche mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen? Oder gibt es genügend junge Menschen, die gut ausgebildet in der Branche arbeiten wollen?
Die Antwort dazu ist ein klares Jein. (lacht)
Der Bedarf an Arbeitskräften ist sicher höher als das Angebot. Allerdings denke ich mir oft, wenn ich Stellenanzeigen lese, dass seitens der Unternehmen überzogene Erwartungen bestehen. Vor allem wenn es um die Anwendung neuer Technologien geht.
Könnten Sie das genauer definieren?
Von einem ausgebildeten Informatiker/einer ausgebildeten Informatikerin kann man verlangen, dass er oder sie sich eine bestimmte Technologie aneignet. Beispielsweise eine spezielle Programmiersprache, die nur in diesem Betrieb verwendet wird. Mit einem gewissen technischen Grundwissen, kann sich das eine Fachkraft schnell und einfach aneignen. In der Ausschreibung wird aber verlangt, dass man die Programmiersprache bereits können muss, das meine ich mit überhöhten Erwartungen. Dabei wäre es wichtiger, hier auf Erfahrungen zu setzen, beispielsweise auch im Umgang mit anderen, ähnlichen Technologien.
Bei IT denkt man automatisch an junge Personen. Wie wichtig ist die Erfahrung älterer Menschen?
Erfahrung ist natürlich wichtig und aus meiner persönlichen Wahrnehmung kann ich sagen, dass es einige Vorteile hat mit älteren Personen zusammenzuarbeiten. Wenn ich älteren KollegInnen von Problemen erzähle, dann bekomme ich oft hilfreiche Tipps, weil sie vielleicht schon mal eine ähnliche Problemstellung hatten. Das Alter entscheidet nicht darüber, ob jemand gut in Informatik ist.
Also leben Sie ja bereits generationenübergreifenden Wissenstransfer.
In der Hinsicht ja. (lacht)
Bleiben wir beim Thema Diversität: Früher war die Informatik ein Frauen-Metier. Letztens war in einer Tageszeitung zu lesen: „Frauen regierten einst die Informatik – dann war Geld im Spiel“. Ist da was dran?
Was sicher stimmt ist, dass es, im Gegensatz zu klassischen Ingenieurswissenschaften, in der Informatik viele klassische und bekannte Rolemodels bzw. Vorbilder gab und gibt, wie zum Beispiel Ada Lovelace. Das ist wichtig und gut.
Meine These, warum die Informatik heutzutage eher männerdominiert ist, hängt mit dem Einrichten der Studiengänge an Unis zusammen. Als diese eingeführt wurden, war Studieren ganz generell noch männerdominiert. Das würde sich auch damit decken, dass anfangs, als es Informatik noch nicht als Studium gab, viele InformatikerInnen aus der Mathematik kamen, ein Bereich mit historisch höheren Frauenanteil.
Könnten „mehr Frauen in der IT“ auch ein Weg sein um einem möglichen Fachkräftemangel zu begegnen?
Wenn Unternehmen Leute brauchen, kann man schwer auf Frauen verzichten. Wenn Frauen aber jetzt nur eingestellt werden, weil gerade Fachkräftemangel herrscht und dann wieder gehen dürfen sobald die Konjunktur auf Talfahrt geht, halte ich auch nicht viel davon. Frauen sind genauso gute oder schlechte Fachkräfte in der Informatik wie Männer und sollen auch als solche behandelt werden. Mädchen die sich für MINT-Fächer interessieren, sollten früh unterstützt und motiviert werden, das zu tun. In der Schule und auch im Elternhaus. Letzteres ist sehr entscheidend, denn viele Informatikerinnen kommen, so wie ich auch, aus einem technikaffinen Elternhaus.
Frauen in MINT-Fächer sollte Normalität sein, wir scheitern hier aber an gesellschaftlichen Zuschreibungen, denn grundsätzlich haben Frauen großes Interesse an IT. Das habe ich zuletzt auch beim Woman & Code Hackathon an der TU Wien gemerkt.
In der Demografieberatung ist ein Ziel, eine lebensphasenorientierte Arbeitsgestaltung zu fördern. Ist dies in der IT-Branche besonders schwierig zu bewerkstelligen? Sie haben ja mittlerweile ein Kind, wie geht es Ihnen in dieser Hinsicht?
Die IT ist eigentlich prädestiniert für lebensphasenorientiertes Arbeiten.
Wieso das?
Das hat mehrere Gründe. Zum einen geht es in der Informatik vorwiegend um das Liefern von Ergebnissen. Diese hohe Output-Orientierung hat zur Folge, dass, wenn das Ergebnis passt, es eher egal ist, wie, wann und wo du arbeitest. So ergeben sich viele Möglichkeiten, beispielsweise für Remote Arbeit bzw. Home Office.
Weiters ist die IT-Branche voll mit herausstechenden Leuten und individuellen Persönlichkeiten. Von einem Langschläfer im Heavy-Metal-Shirt bis zu Männern in Frauenkleidung ist da alles dabei und es ist alles normal und in Ordnung. Als Frau mit Kind ist man da fast zu normal.
Die Grenzen für eine lebensphasenorientierte Arbeitsgestaltung sind oft nur in den Köpfen. Aber diese Flexibilität in der Informatik, war auch für mich ausschlaggebend um von meiner ursprünglichen Ausbildung, Elektrotechnik, in die IT zu wechseln.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dr. in Johanna Ullrich ist Senior Researcher bei SBA Research und Lektorin an der FH Campus Wien, der FH Wiener Neustadt, FH Technikum sowie Universitätslektorin an der Technischen Universität Wien. Im Jahr 2016 schloss sie Ihr Doktoratsstudium Informatik an der TU Wien ab. Am 5. Dezember 2017 wurde ihr in einer Promotion sub auspiciis der Ehrenring der Republik Österreich von Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen für ihre herausragenden Leistungen in Schule und Studium verliehen. Sie betreut im Rahmen des FEMtech-Programms Praktikantinnen der MINT-Fächer.



